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Kleinmachnower Wendegeschichte(n)

Am 9. November 1989 öffnete sich die innerdeutsche Grenze. Jubelnde Menschen beider deutscher Staaten passierten die Schlagbäume, fielen sich in die Arme und konnten kaum fassen, was da geschah. "Wahnsinn", war das Wort jener Tage, an die fast alle Menschen, die sie miterlebten, ganz besondere Erinnerungen haben. Auch an Kleinmachnow ging die Wende mit den Wochen und Monaten zuvor und danach natürlich alles andere als spurlos vorbei...

Chronik der Wende

Jahr | Datum

Ereignis

1949


7. Oktober:
Die DDR wird gegründet.

Angesichts der politischen Entwicklung verlassen Tausende Menschen ihre Heimat, auch viele Kleinmachnower begehen nun „Republikflucht“.

1952



Die Einschränkungen im Grenzverkehr werden spürbar durch schärfere Kontrollen.
1. Juni: Der Zugang zum Bahnhof Düppel wird geschlossen und die direkte Telefonverbindung nach West-Berlin gekappt.
30. Oktober: 30. Oktober: Eine Demonstration vor den Kleinmachnower Kammerspielen gegen die Schließung des Grenzübergangs Düppel hat eine Verhaftungswelle zur Folge.

1953


17. Juni: In Ost-Berlin streiken zahlreiche Arbeiter und demonstrieren gegen die Normenerhöhung. Viele Bürger schließen sich an. Gewaltsam wird dieser Volksaufstand niedergeschlagen.

Auch Kleinmachnower Bürger schließen sich den Arbeiterprotesten an.

1954



Der Grenzübergang Düppel nach West-Berlin wird Anfang Oktober wieder eröffnet.

1956



279.000 Menschen flüchten in diesem Jahr aus der DDR in den Westen.

Auch 413 Kleinmachnower verlassen ihren Heimatort.

1961


13. August: In den Morgenstunden beginnt in Berlin der Mauerbau

Bürger protestieren am Grenzübergang Düppel gegen den Mauerbau.

Kleinmachnow ragt wie eine Halbinsel in West-Berliner Gebiet hinein und ist nur noch vom Süden her über drei Brücken zu erreichen. Der Straßenbahnverkehr zwischen Seehof und Schleuse wird eingestellt. Nach Ost-Berlin kommen die Menschen nur noch mit Bus und Bahn über den Berliner Außenring. 

Bis zu diesem Tag hatten bereits rund 4800 Kleinmachnower die Flucht Richtung Westen ergriffen.

29. August: Das erste Todesopfer an der deutsch-deutschen Grenze: Der 27-jährige Roland H. wird am Teltowkanal erschossen.

1960er-Jahre

Bild vergrößern: In den 1960er-Jahren trennt nur ein Zaun die Nachbarn im Grenzstreifen zwischen Wolfswerder und Neuruppiner Straße © Familie Kühl
In den 1960er-Jahren trennt nur ein Zaun die Nachbarn im Grenzstreifen zwischen Wolfswerder und Neuruppiner Straße

1963


26. April: Der 19-jährige Kleinmachnower Peter Mädler versucht, durch den Teltowkanal in den Westen zu schwimmen und wird erschossen.

1966


4. März: Der 21-jährige Christian Buttkus bezahlt seinen Fluchtversuch in Dreilinden mit dem Leben.
18. Oktober: Walter Kittel, (21) wird nahe der Stammbahn beim Versuch, die Grenze zu überwinden, erschossen.

1969


16. Dezember: 17 Jahre alt war Karl-Heinz Kube, als er im Grenzgebiet am Erlenweg beim Fluchtversuch erschossen wurde.

Ende 1960er-Jahre

Bild vergrößern: Um Platz für die Grenzanlagen zu schaffen, muss Ende der 1960er-Jahre ein Haus im Wolfswerder weichen © Familie Reiche
Um Platz für die Grenzanlagen zu schaffen, muss Ende der 1960er-Jahre ein Haus im Wolfswerder weichen

1972



Besuch aus dem Westen – Erstmals erhalten Westberliner zu Ostern Passierscheine für DDR-Besuche
11./12. September: Laut „Tagespiegel“ schießen DDR-Grenzposten in der Nacht auf zwei Männer, die versuchen, zwischen Wolfswerder und Neuruppiner Straße, die Grenze zu überwinden. Offenbar unverletzt werden sie festgenommen und abgeführt.

Ende 1970er-Jahre

Bild vergrößern: Mauerbau Ende 70-er Jahre © Familie Kühl
Ende der 1970er-Jahre wird zwischen Wolfswerder und Neuruppiner Straße der Zaun durch eine Mauer ersetzt

1979


20. November: Der Teltowkanal wird nach mehrjährigen Sanierungsarbeiten wieder für die West-Schifffahrt geöffnet.

Im Schatten der Mauer haben sich die Menschen auf beiden Seiten eingerichtet.

Bild vergrößern: Balkonidyll © Familie Kinzel
Balkonidyll im Mauerschatten an der Neuruppiner Straße

Mai 1989


2. Mai: Ungarn beginnt damit, Sperrzäune abzubauen.
7. Mai: Bei den Kommunalwahlen in der DDR stimmten offiziellen Angaben zufolge 98,5 Prozent der Wähler für die Listen der »Nationalen Front«. Von DDR-Bürgerrechtlern organisierte Kontrollen der Auszählung decken den Wahlbetrug auf.

Juni 1989


27. Juni: In einem symbolischen Akt durchschneiden die Außenminister von Ungarn und Österreich den Stacheldraht an der ungarisch-österreichischen Grenze.

Die Unzufriedenheit mit der politischen Situation wächst. Der Kleinmachnower Reinhard Womacka zeigt dies, indem er nachts heimlich Gorbatschow-Plakate klebt, die tags darauf von offizieller Seite stets entfernt werden.

Bild vergrößern: Telefonzelle mit Plakat © Bernd Blumrich
Telefonzelle am OdF-Platz, Juni 1989: Gorbatschow-Plakate drücken den Wunsch nach Perestroika aus


Trotz Sicherheitsbedenken und der nahen Grenze - aber vielleicht, um der Jugend einen Schritt entgegen zu kommen - wird Ende Juni ein Rockkonzert auf der Bäkewiese gestattet.

Bild vergrößern: Open-Air-Konzert © Bernd Blumrich
Open-Air-Konzert auf der Bäkewiese

August 1989


19. August: Im Rahmen eines Paneuropäischen Picknicks wird das Grenztor zwischen Ungarn und Österreich für drei Stunden geöffnet. Mehr als 600 DDR-Bürger nutzen die Gelegenheit zur Flucht über die Grenze.

September 1989


9./10.September: Mit dem Neuen Forum formiert sich die erste landesweite Oppositionsbewegung der DDR und ruft nach Reformen. Es folgen weitere Gruppierungen.
11. September: Ungarn öffnet die Grenzen für DDR-Bürger, binnen drei Tagen reisen 15.000 Ostdeutsche über Österreich in die Bundesrepublik.
30. September: Die Flüchtlingszahlen in den Botschaften steigen weiter an. Mehr als 6000 Flüchtlinge harren unter katastrophalen humanitären und medizinischen Zuständen in den Botschaften aus. Am Abend des 30. Septembers verkündet Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag die Ausreisegenehmigung für die Botschaftsflüchtlinge in Prag und Warschau.

Oktober 1989


7. Oktober:

Die DDR feiert ihr 40-jähriges Bestehen.

In Potsdam kommt es zu einer Demonstration und in der Folge zu 103 Festnahmen.

9. Oktober: Wie jeden Montag seit dem 4. September wird in Leipzig demonstriert. Diesmal kommen 70.000 Menschen. Es bleibt friedlich, denn die Sicherheitskräfte der DDR halten sich zurück
18. Oktober: Erich Honecker tritt zurück, Egon Krenz wird neuer SED-Chef

Vom 1. Oktober bis zum 5. November kommt es in der Evangelischen Kirche am Jägerstieg zu Bürgergesprächen. Neue politische Parteien und Bürgerbewegungen diskutieren mit Mitgliedern der Gemeindevertretung.

November 1989


4. November: Größte Protestdemo in der Geschichte der DDR in Berlin.
6. November:

In einer Aussprache im Rat der Gemeinde zwischen den Vorsitzenden der in der Nationalen Front vereinigten Parteien und Massenorganisationen wird die Forderung nach Rücktritt der Regierung sowie der Aufhebung des Grenzgebietes und Öffnung des Grenzübergangs Düppel laut. Auch die Führungsrolle der SED wird in Frage gestellt.


93 Kleinmachnower haben im Jahr 1989 „offiziell“ die DDR verlassen, auf illegalem Weg folgten rund 50 weitere Einwohner
7. November: Rücktritt der Regierung der DDR
9. November 1989: Polit-Büro-Mitglied Günter Schabowski verkündet im DDR-Fernsehen während einer Pressekonferenz, dass ab sofort alle DDR-Bürger über die vorhandenen Grenzübergänge nach Westberlin und in die BRD ausreisen dürfen. Noch in der Nacht machen sich die Menschen zu den Grenübergängen auf. Unter dem Druck von Tausenden DDR-Bürgern öffnen sich die Schlagbäume und die Berliner Mauer ist offen.
10. November:

Die Nachricht von der Grenzöffnung sorgt für Bewegung. DDR-Bürger machen sich auf gen "Westen". Auch die Kleinmachnower zieht es in Scharen zum Kurfürstendamm.

Bild vergrößern: Autobahn © Bernd Blumrich
Der Treck nach "Westen" auf der Transitautobahn
11. November:

Entlang des Teltowkanals beginnen Grenzsoldaten in den Morgenstunden mit der Auflösung des Grenzgebietes. Auch in Dreilinden verschwinden Betonpfähle und die Schilder, mit denen „Unberechtigte“ fern gehalten wurden. Erstmals seit 28 Jahren ist der Ortsteil wieder für Jeden frei zugänglich. Einen offiziellen Befehl für diese Aktion gibt es erst drei Tage später.

12. November: Die Initiativgruppen Kleinmachnow laden zum 1. Bürgergespräch. Die SED-Kreisleitung lässt dabei die Bereitschaft erkennen „mit jedem über alle Probleme zu reden“.
28. November:

Bundeskanzler Helmut Kohl verkündet ein „10-Punkte-Programm“. Es sieht die Wiederherstellung der deutschen Einheit auf dem Wege einer Föderation in einem Zeitraum von fünf und mehr Jahren vor.

Bild vergrößern: Grenzanlage Düppel an der Karl-Marx-Straße © Bernd Blumrich
Kleinmachnow. 8.12.1989 - Grenzanlage Düppel zwischen Wolfswerder und Neuruppiner Straße in Berlin-Zehlendorf.

Dezember 1989



4. Dezember:


Erstmals tagen Verwaltung, Parteien und Bürgerbewegung am „Runden Tisch“. Gesprächsthemen sind die Öffnung der Grenzübergänge Düppel und Philipp-Müller-Allee (heute Zehlendorfer Damm), inklusive Verkehrskonzepte, die Wohnungspolitik und nicht zuletzt die Fragen nach Überwachung und Bespitzelung der Bürger.2

Bild vergrößern: Gründung Neues Forum © Bernd Blumrich
In Kleinmachnow formiert sich eine Ortsgruppe des neuen Forums. Mit dabei Wolfgang Blasig (rechts)
6. Dezember: 25 Kleinmachnower treten an, um einen Ortsverband des Neuen Forums zu gründen. Einer davon ist Wolfgang Blasig, der später als Bürgermeister 16 Jahre lang die Geschicke der Gemeinde lenken wird.
7. Dezember: Vertreter von Parteien und bürgerrechtlichen Vereinigungen bilden den Zentralen Runden Tisch. Das Gremium will sich »mit Vorschlägen zur Überwindung der Krise an die Öffentlichkeit wenden« und fordert von der Regierung eine Einbeziehung in wichtige Entscheidungen, insbesondere zur Vorbereitung der freien Wahl.
8. Dezember:

In Düppel beginnen unter großem öffentlichen Interesse die Bauarbeiten für einen Grenzübergang. Es herrscht schon jetzt reges Kommen und Gehen und Feierstimmung.

Bild vergrößern: Bauarbeiten am Grenzübergang Düppel © Bernd Blumrich
Bauarbeiten am Grenzübergang Düppel
11. Dezember: Der Grenzübergang Düppel wird nach 28 Jahren und 4 Monaten wieder geöffnet. Gemeinsam feiern dies Zehlendorfer und Kleinmachnower angeführt von ihren Bürgermeister Jürgen Kleemann und Günther Weber.

16. Dezember:
Auf Einladung des Kleinmachnower Bürgermeisters Günther Weber erkundet eine Abordnung der Bürgerbewegung die Parteihochschule auf dem Seeberg.

Bild vergrößern: Grenzkontrollpunkt Düppel © Peter Gärtner
Grenzkontrollpunkt Düppel (Bildausschnitt aus dem dem Film "Mauerflug")
24. Dezember: Die Regelung zum visafreien Reiseverkehr für Berliner und Bundesbürger in die DDR tritt in Kraft.

Januar 1990


8. Januar: Der Runde Tisch tagt. Wichtige Themen: Die Wohnungspolitik und die Besitzverhältnisse auf dem Seeberg.
14. Januar:

Protest auf dem Seeberg gegen das Hinauszögern von Lösungen für „Stasihäuser“ und Parteihochschule. Zu den Rednern zählt auch Wolfgang Blasig, der Auskünfte verlangt über den Verbleib von Pachtgeldern für die von der SED genutzte Hakeburg. Die Öffnung des Geländes wird gefordert und schon jetzt wird vor weiterer Bebauung und Abholzung auf dem Seeberg gewarnt.

Bild vergrößern: Demo auf dem Seeberg © Bernd Blumrich
Menschen aus Kleinmachnow ziehen zum Protest auf den Seeberg.
15. Januar: Eine Demonstration vor der MfS-Zentrale in Berlin mündet in die Erstürmung des Gebäudes.

März 1990


18. März: Erste freie Volkskammerwahlen in der DDR.
19. März: Der Busverkehr zwischen Berlin und Kleinmachnow wird wieder aufgenommen.
31. März:

Auch der Übergang Philipp-Müller-Allee ist nun offen, doch noch sind Ausweiskontrollen erforderlich.
Außerdem wird die Straße umbenannt. Der Zehlendorfer Bürgermeister Jürgen Kleemann wurde eingeladen, aus der Philipp-Müller-Allee wieder den Zehlendorfer Damm zu machen.

Bild vergrößern: Grenzkontrollpunkt Zehlendorfer Damm © Georg Heinze
Der Grenzkontrollpunkt Zehlendorfer Damm wird eröffnet

April 1990


8. April:

Mit dem Strom von Besuchern aus dem Westen finden auch viele ehemalige Kleinmachnower den Weg zurück in die Heimat. Viele fordern Haus und Grund von den jetzigen Bewohnern zurück. Und so kommt Unruhe nach Kleinmachnower. Sogar der SFB berichtet über den teilweise heftig geführten Restitutionsstreit, der weit mehr als 1000 Menschen in Kleinmachnow ihr Zuhause kostet. Noch heute beschäftigen zahlreiche dieser Fälle die Gerichte.

Bild vergrößern: Betroffene aus Kleinmachnow demonstrieren gegen die Rückübertragung ihrer Häuser © Bernd Blumrich
Betroffene aus Kleinmachnow demonstrieren gegen die Rückübertragung ihrer Häuser

Mai 1990


6. Mai: Bei den ersten freien Kommunalwahlen in Kleinmachnow gehen CDU und SPD fast gleichauf über die Ziellinie und gewinnen jeweils 9 von 35 Sitzen in der Gemeindevertretung, Bündnis 90 erhält 8 Sitze, die PDS 7 und für den Bund Freier Demokraten (BFD) gibt es noch 2 Sitze.
Erster frei gewählter Bürgermeister wird Dr. Klaus Nitzsche (SPD).
Die Wahlbeteiligung liegt bei 81,28 Prozent.

Juni 1990


30. Juni: Auch die letzten noch vereinzelten Kontrollen an den Grenzübergängen werden eingestellt

Die Gemeinde Kleinmachnow informiert die Zehlendorfer Nachbarn an der Neuruppiner Straße darüber, dass alte Wegeverbindungen wiederhergestellt werden. Dank der Voraussicht der Berliner Planer blieben die Grundstücke unbebaut, die nun zur Verlängerung der Straßen, Ginsterheide und Jägerstieg benötigt werden.

Oktober 1990


3. Oktober: Mit dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes wird Deutschland wiedervereinigt.

November 1990

Und plötzlich steht der Nachbar von gegenüber im Garten! Zwischen Kleinmachnow und Zehlendorf verschwindet nach und nach die Mauer. Die neuen Lücken sorgen für immer neue Begegnungen.

Bild vergrößern: Maueröffnung © Familie Borowicz
Die Mauer verschwindet

Dezember 1990


2. Dezember:

Erstmals stimmen Ost- und Westdeutsche gemeinsam über die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages ab.

Wahlsieger ist die CDU/CSU mit 43,8 Prozent der Stimmen


Die Einwohnerzahl Kleinmachnows beträgt 11.830, hat also wieder den Stand von vor dem Krieg erreicht.

Bild vergrößern: Mauerreste © Bernd Blumrich
ohne Worte...

1993

Am Grenzkontrollpunkt Drewitz/Dreilinden halten die  Abrissbagger Einzug, auf dem Areal entsteht mit dem Europarc ein Gewerbegebiet.

Bild vergrößern: Abriss Dreilinden © Bernd Blumrich
Der Grenzkontrollpunkt Dreilinden wird abgerissen.

Die Gemeinde Kleinmachnow bedankt sich bei den Familien Kühl, Rieche, Kinzel und Borowicz aus Berlin-Zehlendorf, die ihre privaten Fotos für diese Chronik zur Verfügung stellten.

Ebenfalls zu danken ist dem Kleinmachnower Fotografen Bernd Blumrich, aus dessen Buch „Linienuntreue“, erschienen im Lukas-Verlag, ebenfalls einige Bilder und Fakten stammen.

Dank gilt auch Peter Gärtner für die Erlaubnis, aus seinem Film „Mauerflug" ein Bild zu entnehmen.

Kleinmachnow, November 2009